Die ersten paar Male, als ich es nach Jahren wieder versuchte, saß ich mit einem leerem Kopf vor einem leeren Bildschirm und wusste weder mit ihm noch mit mir etwas anzufangen. Ein paar Worte tröpfelten aus mir heraus, aber ich hatte keine Ahnung warum und wozu. Es fühlte sich unnatürlich und fremd an. Ich sah dabei zu, wie meine Finger über die Tastatur stolperten, war aber nicht wirklich dabei. Das Gefühl, der Schreibende zu sein, war verschwunden. Das war vor 4 Jahren. Inzwischen fühle ich mich mit dem schreibenden und denkenden Teil in mir wieder etwas mehr verbunden, was bedeutet: Ich kann wieder schreiben! Und: Es gibt so vieles, was gesagt werden möchte, gesagt werden muss. So vieles, was endlich raus muss, raus aus meinem Kopf. Viele Themen, über die ich schreiben möchte, viele Erfahrungen, die geteilt werden wollen. Es ist abgefahren, wie lange ich blockiert war, ohne es überhaupt zu bemerken.
Ich habe nur noch geschrieben, wenn etwas wirklich Beeindruckendes passiert oder ich sehr(!) traurig, ängstlich oder unzufrieden war. Positives fasste ich manchmal stichpunktartig in Listen zusammen, die ich „Lebenswert-Listen“ nannte. Darin sah ich einen gewissen psychologischen Wert. Aber Dinge auszuformulieren und mich tiefer mit ihnen zu beschäftigen, schien komplett sinnlos zu sein. Jedes Wort, was ich über meine Vergangenheit, meine Zukunft oder alltägliche Befürchtungen, hätte verlieren können, war nicht „deep“ genug, führte mich scheinbar nicht zur Selbsterkenntnis, sondern lenkte nur davon ab. Verstrickte mich in „Ego-Geschichten“, die nicht nur wertlos, sondern auch schädlich waren. Die man nicht fördern sollte. Davon war ich überzeugt.
Ich sah keinen Sinn mehr in „Geschichten“. Das „Jetzt“ musste frei sein von Geschichten oder Gedanken, sollte nur ein bewertungsfreies Erleben sein. Ich wollte fähig sein, jedes Gefühl komplett, ohne Bewertung und ohne Geschichte, zuzulassen. Ich dachte, das wäre der Weg in die Befreiung. Ich dachte, das wäre der Weg, die schlimmen Gefühle endlich loszuwerden. Sie kurz in ihrer vollen Macht zu spüren und dann gehen lassen zu können, da sie durch keinen Gedanken mehr festgehalten wurden. Dass ich damit eine Fähigkeit und ein Ausdrucksmittel vernichtete, war mir nicht klar. Ebenso wenig, dass ich dadurch dazu beitrug, den Kontakt zu mir selbst zu verlieren.
Ich sagte mir unbewusst immer wieder „Du, deine Geschichte und deine Identität sind nichts wert.“ Und ich arbeitete erbittert daran, diese Dinge loszuwerden. Und erst nachdem ich mein Ziel erreicht hatte und all das tatsächlich (am Ende ziemlich unfreiwillig) losgeworden war, wurde mir klar, wie wertvoll es eigentlich die ganze Zeit gewesen war. Meine Geschichte und meine Identität hatten mich mein Leben lang begleitet. Nichts war mir vertrauter. Ich hatte eine extreme und vielschichtige Gefühlswelt, weil ich eine Identität hatte. Weil ich Bedürfnisse und Bewertungen hatte. Weil ich meinen Gedanken vertraute. Erst als all das wegfiel und ich in einem emotionslosen Nichts dahinvegetierte, wurde mir klar, dass mein Weg, mich vom Leiden zu befreien, der falsche gewesen war.
Heute kämpfe ich darum, mich wiederzufinden. Und wenn ich mein altes „Ich“ nicht mehr wiederfinden sollte, dann vielleicht ein Neues – mit einer Geschichte. Mit Vergangenheit und Zukunft. Mit der Fähigkeit, sich auszudrücken. Vielleicht durchs Schreiben. Das ist der Versuch.
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