Angst, Akzeptanz und Authentizität

Ich habe diese Woche viel über Angst und Akzeptanz nachgedacht und dabei feststellen müssen, dass ich noch viel mehr Angst habe, als ich mir eingestehen will. Und noch viel weniger Akzeptanz für meinen Zustand, als ich gerne hätte. Ich vermute, dass, wenn ich meinen Zustand 100% akzeptieren würde und keine Angst mehr davor hätte, es mir zumindest ein wenig besser gehen würde. Beides ist schwierig. Radikale Akzeptanz fühlt sich an wie Aufgeben. Als würde ich mich dann damit abfinden, dass es für immer so bleibt und als würde es deswegen dann auch für immer so bleiben. Und diese Vorstellung ängstigt mich sehr. Für immer nicht mehr ich-selbst sein, für immer fremd und abgeschottet in dieser Welt – und auch nicht in ihr, sondern irgendwo anders, einsam und isoliert in meinem Kopf, ohne Zugang und Verbindung zu irgendwem und irgendwas. Und dennoch versuche ich daran zu arbeiten. Weniger Angst und mehr Akzeptanz, weniger im-Kopf-verändern-wollen, mehr fühlen. Ich habe die leise Vermutung, dass ich mich mir selbst näher fühle, je näher ich meinen Gefühlen komme.

Gestern habe ich lange mit S. darüber gesprochen, welche Gedanken dazu beitragen diesen seltsamen Zustand am Leben zu erhalten. Ich redete sehr viel und am Ende weinte ich ein bisschen. Danach ging es mir besser. Als hätte ein Teil von mir Raum bekommen, der sonst lieber versteckt bleibt. Und als würde das ein wenig der Entfremdung lösen, zumindest für kurze Zeit.

Ich bin dankbar, dass S. mir den Raum gibt, ich selbst zu sein. Auch wenn ich das wahrscheinlich zu selten in Anspruch nehme, weil da immer noch Angst ist. Angst, ihm auf die Nerven zu gehen, ihn zu langweilen, mich so oft zu wiederholen, dass er mir nicht mehr zuhören will, bis er mich schließlich nicht mehr ertragen kann. Der Grund, warum ich so oft nicht über das rede, was mich beschäftigt. Weil es immer dasselbe ist und ich viel zu lange brauche, um ein Thema zu überwinden. Falls ich es überhaupt jemals überwinde. So viel Angst davor, von den Menschen, die mir nahe sind, dafür verurteilt zu werden, oder wieder Sätze wie „Nimm das nicht so ernst“ oder „Reiß dich mal zusammen“ zu hören. Um mich dann wieder wie ein Aussätziger zu fühlen, alleingelassen und unverstanden, schwach und verloren. Als wäre ich zu dumm für das Leben, zu dumm die Dinge „richtig“ zu machen, „richtig“ zu denken und zu fühlen. Dann lieber gar nicht darüber sprechen. Aber ich merke, dass das auch nicht richtig ist, bzw. nicht dazu beiträgt, dass es mir psychisch besser geht.

Ich habe M. heute erzählt, dass ich manchmal immer noch „Rache-Phantasien“ im Bezug auf D. habe, bzw. dass ich mir manchmal wünsche, sein Leben würde den Bach runtergehen. Sie meinte, dass ich aufhören sollte, so zu denken, weil „gute Menschen“ solche Gedanken nicht haben. Dass es ein Widerspruch wäre, mich so reden zu hören, weil ich doch eigentlich ein „guter Mensch“ bin. Und dass diese Gedanken irgendwann auf mich selbst zurückfallen werden, nach dem Motto „Was du anderen antust…“. Und dass ich mir selbst damit wehtun würde, diese Gedanken zu haben. Letztendlich wollte sie auf jeden Fall, dass ich aufhöre, so zu denken. Ich habe nicht wirklich viel darauf reagiert, aber eigentlich macht es mich wütend. Es macht mich wütend, dass ich nicht denken darf, was ich denke, bzw. dass es verurteilt wird, wenn ich davon erzähle. Ich würde manchmal so gerne einfach darüber reden dürfen, was ich fühle, denke und erlebe, ohne Beurteilung, ohne Richtig-Stellung, ohne mach-das-mal-anders. Manchmal hasse ich die Welt dafür, dass sie so ist. Dabei hat die Welt damit gar nichts zu tun. Es sind die Menschen, die so sind. Die nichts dafür können, dass sie so sind. Aber ich muss mit und unter ihnen leben. Ich muss damit leben, dass ich niemals komplett ich-sein darf. Was vielleicht auch falsch ist. Vielleicht darf ich es, bei bestimmten Personen, und ich muss noch lernen, dass es so sein darf.

Und dann denke ich über meine Satsang-Jahre nach. Und mir wird klar, dass es da gar nicht so anders war. Ich durfte zwar über alles reden, wurde dann aber direkt darauf aufmerksam gemacht, dass das mit dem „Jetzt“ nichts zu tun hat. „Wie ist es jetzt?“ – „Jetzt ist es nicht da.“ – „Siehst du?!“. Als könnte ich durch das „richtige“ Präsent-sein all dieser unerwünschten Gedanken und Gefühle auslöschen und müsste dann niemanden mehr damit belästigen. Auch mich selbst nicht. Als würde dadurch alles verschwinden, was nicht zum „guten Menschen“ gehört. Und immer der Wunsch: wäre ich nur endlich „richtig“ … „richtig“ in meinem Denken, in meinem Fühlen, in meinem Wahrnehmen. Erst wenn ich alles so denke und fühle und wahrnehme, wie SIE es tun, wird es „richtig“ sein, werde ich in Ordnung sein. Dann werde ich mich nicht mehr alleine und unsicher fühlen, dann wird alles seinen Sinn ergeben, dann werde ich für mich Selbst Sinn ergeben. Das war die Idee. Die falsche Idee. Letztendlich habe ich den Sinn komplett verloren. Und mich selbst komplett verloren. In der Vorstellung so sein zu müssen, wie andere sind, anstatt einfach ich zu sein. Ständig dieses Gefühl, falsch zu sein. Nicht extrovertiert genug, nicht lustig genug, nicht dünn genug, nicht präsent genug, nicht erleuchtet genug, nicht sonst-irgendwas-genug. Ich hab genug davon.

Ich will aufhören und kann doch nicht. Es ist so tief verwurzelt, ich bräuchte mindestens zehn Leben, um mich wieder komplett zu öffnen.

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