Der verdammte Schalter im Kopf.

„Damals“, vor drei Jahren, bevor „es“ passiert ist, habe ich meine Wahrnehmung nicht angezweifelt. Ich habe mir all diese seltsamen existentiellen Fragen nicht gestellt. Ich habe nicht permanent getestet, wie „präsent“ ich bin. Ich habe mich nicht permanent gefragt, wie real sich die Welt gerade anfühlt oder ob ich mich wie „ich“ fühle. Ich war einfach ich und die Welt war die Welt. Mein Fokus war nicht so verdreht. Vor ein paar Tagen las ich einen Beitrag über Depersonalisation/Derealisation, in dem jemand schrieb, dass depersonalisierte Menschen ihr Leben nicht mehr „inside out“, sondern „outside in“ leben und das macht vollkommen Sinn. Früher habe ich nicht in mich hineingestarrt, auf der Suche nach einem „ich“, ich habe aus meinem „ich“ hinaus nach draußen gesehen.

Ich weiß allerdings immer noch nicht so richtig, was ich damit anfangen soll. Die Ratschläge, die man am meisten hört, sind: lebe dein Leben weiter wie zuvor – tue so, als gäbe es die DP gar nicht – vergiss, dass du es hast – denke nicht darüber nach – akzeptiere deinen Zustand. Und ja, es macht Sinn. Ich habe nicht darüber nachgedacht, bevor es mich getroffen hat. Aber es scheint inzwischen ein so eingefahrenes, unterbewusstes Muster zu sein – das ständige Checken, das ständige Drüber-Nachdenken – dass ich nicht mehr weiß, wie ich es unterbrechen soll. In der Zeit, in der es sich „angeschlichen“ hat, gab es Fluktuation, wechselte meine Aufmerksamkeit zwischen normalem Erleben und dieser seltsamen Welt-und-Selbst-Wahrnehmung hin und her, bis sich schließlich eine Art Schalter in meinem Kopf umlegte, den ich nicht mehr zurückswitchen kann. Und je mehr ich mich anstrenge, es zu tun, desto schlimmer wird es.

Und ich sehe den Zusammenhang zu anderen Ängsten, die ich in meinem Leben hatte. Je mehr ich darauf fokussierte, je mehr Angst ich davor hatte, je mehr ich darüber nachdachte, desto schlimmer wurde das Symptom, desto schlimmer wurde genau das, wovor ich Angst hatte. In den schlimmsten Zeiten meiner Emetophobie war mir dauernd übel. Und ich hatte dauernd Angst davor, mich zu übergeben, dachte ständig darüber nach, was passieren würde, wenn es passieren würde. Wieso fällt es mir jetzt so schwer zu glauben, dass es das gleiche Phänomen ist? Nur, weil es ein seltsameres Symptom ist? Es ist ein so absolut unfassbares, ungreifbares Erleben, das mir unvorstellbar wäre, wenn ich es nicht selbst erleben würde. Es ist so fernab jeglicher „normal gelebter Realität“, dass es schwerfällt mir einzugestehen, dass ich mir das Ganze nur „herbeirede“. Und vielleicht spielt „herbeireden“ alles auch zu sehr herunter. Soweit ich weiß, gibt es genug physiologische Zusammenhänge, als dass man sagen könnte, dieser Zustand wäre komplett „eingebildet“ – aber ich bin mir sicher, dass (zumindest in meinem Fall) sehr viele Teile davon rein gedanklicher Natur sind.

Manchmal versuche ich mir vorzustellen, ich hätte von all den spirituellen Theorien nie etwas gehört. Es hätte Advaita und Non-Dualität niemals in meinem Leben gegeben. Ich hätte niemals gehört, dass ich nicht mein Körper, meine Gefühle oder meine Gedanken bin. Ich wäre niemals davon überzeugt gewesen, dass wir alle nur „Bio-Roboter“ sind, die keine freie Wahl haben. Mir hätte niemals jemand erzählt, dass es „mich“ nicht gibt.

Was wäre dann? Ich glaube, ich wäre einfach nur ich – mit allen „Ichs“, die ich haben könnte. Ich schmecke Freiheit und Leichtigkeit in der Vorstellung und trotzdem bleibt es nur eine Idee. Ich kann nicht jeden einzelnen Advaita-Gedanken aus meinem Gehirn ausradieren, wie soll das nach so vielen Jahren gehen?

Wie wird man eine so tief-sitzende Überzeugung los? Wie kann ich damit leben, dass ich mich niemals zu 100% vom Gegenteil überzeugen kann? Dass ich niemals 100% sicher sein werde, dass meine Existenz nicht nur eine Idee ist? Wie höre ich auf, etwas zu glauben, wenn es keine Beweise für das Gegenteil gibt? Ich versuche mich für den Glauben zu entscheiden, der scheinbar besser für mich wäre, aber es ist verdammtverdammtverdammt schwer, wenn ich es nicht fühlen kann.

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